Der Preisträger 2016/17

Diplomgeograf Dr. Martin C. Lukas

Foto: Harald Rehling / ZMT / Universität Bremen

Seit 2011 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am artec | Forschungszentrum Nachhaltigkeit, wo er Ende 2015 mit der ausgezeichneten Arbeit zum Dr. rer. pol. mit der Note “summa cum laude” promovierte.

Seit 2015 arbeitet er zudem als Postdoc in der Graduiertenschule GLOMAR – Bremen International Graduate School for Marine Sciences am MARUM – Center for Marine Environmental Sciences. Vor 2011 war er vier Jahre lang als Wissenschaftler am Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung tätig.

Sein Diplom legte Martin C. Lukas 2007 an der JLU Gießen im Fach Geografie mit Auszeichnung ab. Studiert hat er vorher auch an der Lincoln University in Neuseeland und an der TU Dresden, wo er auch sein Abitur machte.

Seine Praktika und Forschungen führten ihn nach Samoa, Indonesien, Indien und Spanien. Er erhielt mehrere Stipendien und war Stipendiat der Studienstiftung des Deutschen Volkes.
Vor seinem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Forstwirt.

Die Arbeit

Bodenerosion und entsprechende Sedimenteinträge in Flüsse und Küstenökosysteme gelten als einige der wichtigsten Umweltprobleme Javas und zahlreicher anderer, vor allem tropischer, Regionen. Hohe Sedimentfrachten blockieren Bewässerungssysteme, gefährden oder transformieren Küstenökosysteme und schränken die Fischerei, vielerorts eine wichtige Lebensgrundlage von Teilen der Küstenbevölkerung, ein. Die Ursachen umfassen oft eine schwer überschaubare Zahl miteinander verwobener, natürlicher und menschlich verursachter Faktoren. In vielen, insbesondere größeren Flusseinzugsgebieten sind sie bislang nicht hinreichend verstanden.

Die Doktorarbeit von Martin C. Lukas widmet sich dieser Problematik am Beispiel der Segara Anakan Lagune und ihrem Einzugsgebiet auf der indonesischen Insel Java. Die Insel gehört zu den globalen Hotspots von Sedimenteinträgen ins Meer. Im Rahmen national und international finanzierter Projekte sind seit den 1970er Jahren erhebliche Mittel investiert worden, um Bodenerosion und Sedimenteinträge in Flüsse und Küstenökosysteme zu verringern. Die Maßnahmen konzentrierten sich auf die Anlage von Feldterrassen und Baumpflanzungen auf dem privaten Land der Kleinbauern. Trotz langjähriger Investitionen werden die Erfolge als gering eingeschätzt. Dies ist bisher auf organisatorische Mängel bei der Durchführung der Maßnahmen zurückgeführt worden. Die Arbeit von Herrn Lukas beleuchtet jedoch ein grundsätzlicheres Problem: Durch den einseitigen Fokus von politischen Diskursen, Forschung und Interventionen auf kleinbäuerliches Land sind zahlreiche andere Ursachen hoher Erosions- und Sedimentationsraten ausgeblendet und folglich nicht durch Interventionen adressiert worden.

Foto: Choiriatum Nur Annisa

Martin C. Lukas hat sich in Indonesien per Moped buchstäblich auf den meist recht unwegsamen Weg gemacht. Er hat Hunderte von Karten, Satellitenbildern und Dokumenten zusammen getragen und analysiert, Landnutzungen in dem 4500km² großen Einzugsgebiet der Lagune kartiert und Hunderte von Interviews mit einer Vielzahl von Akteuren geführt, um den tatsächlichen Ursachen der Sedimenteinträge nachzuspüren. Er konnte zeigen, dass einige dieser Ursachen bis in das 19. Jahrhundert zurückreichen. Seine Arbeit widerlegt die Annahme, dass das private Land der Kleinbauern die mit großem Abstand wichtigste Sedimentquelle sei, als politisch etablierten ‚Umweltmythos‘. Als Ergebnis seiner umfangreichen Analysen von Satellitenbildern, historischen Karten und Dokumenten sowie durch Kartierungen und zahlreiche Interviews auf verschiedensten politischen Ebenen präsentiert Martin C. Lukas eine Vielzahl von Ursachen der Sedimenteinträge, die bisher völlig vernachlässigt und folglich nicht adressiert worden sind.

Deren Spektrum reicht von Entwaldung und Erosion durch kolonialen Kaffeeanbau, übermäßige Holzentnahme, Plantagen- und Infrastrukturentwicklung und Immigrationswellen im 19. und frühen 20. Jahrhundert über Hangabgrabungen zur Erweiterung des Bewässerungsfeldbaus in Tallagen, Erosion und Hangrutschungen von Straßen, Wegen und in Siedlungen, Flussbegradigungen und die Kahlschlagwirtschaft des staatlichen Forstunternehmens bis zu Konflikten um Staatsforste und Plantagenflächen.

Foto: Martin C. Lukas
Literatur: Lukas, M. C. (2014): Eroding battlefields: Land degradation in Java reconsidered. Geoforum, 56, 87-100

Letztere zählen zu den Hauptursachen von Bodenerosion und Sedimenteinträgen in die Flüsse. In zahlreichen Fallstudien dokumentiert Martin C. Lukas detailliert die historischen Wurzeln und gesellschaftlichen Hintergründe, den Verlauf und die Auswirkungen dieser Konflikte. Sie gehen auf Vertreibungen von Kleinbauern und ganzen Dörfern im Kontext bisher kaum dokumentierter gewaltvoller politischer Ereignisse in den 1950/60er Jahren zurück.

Mittels historischen Kartenmaterials und Zeitzeugenberichten deckt Martin C. Lukas auf, wie die Flächen der Vertriebenen in Staatsforste und Plantagen integriert und folglich vom staatlichen Forstunternehmen und politischen Eliten bewirtschaftet und auch mit Waffengewalt gegen die Bevölkerung verteidigt wurden. Seit dem Fall Präsident Suhartos 1998 beanspruchen Kleinbauern vielerorts diese Flächen und einen verbesserten Zugang zu Waldressourcen. Als Teil entsprechender Konflikte zwischen Kleinbauern, dem Forstunternehmen und Plantagenbetreibern sind zahlreiche Flächen entwaldet und in erosionsanfällige „Schlachtfelder“ verwandelt worden. Herr Lukas zeigt auf, wie der strategische Umgang des Staates und seines Forstunternehmens mit diesen Konflikten dazu beiträgt, dass Umweltdiskurse und entsprechende Maßnahmen auf kleinbäuerliches Land fixiert bleiben: Das pauschalisierte Bild nicht nachhaltiger kleinbäuerlicher Landwirtschaft legitimiert die Ansprüche des Forstunternehmens und diskreditiert die Landansprüche der Kleinbauern; und Baumpflanzungen auf deren privatem Land im Rahmen der Programme sollen den Druck der Bevölkerung auf die Staatswälder reduzieren.

Die von Martin C. Lukas aufgedeckten Landkonflikte sind nicht nur von zentraler Bedeutung für ein nachhaltigeres Ressourcenmanagement, sondern auch gesellschaftspolitisch äußerst relevant. Seine Dokumentation der Wurzeln dieser Konflikte, der Vertreibungen in den 1950/60er Jahren, gewährt tiefgreifende Einblicke in die gewaltvollen und noch völlig unaufgeklärten Ereignisse dieser Zeit: den Guerillakrieg einer radikal-islamistischen Bewegung und die ‚anti-kommunistischen Säuberungen‘ nach der Machtübernahme Präsident Suhartos (eines der größten Massaker der Geschichte). Versuche einer Rekonstruktion und Aufklärung dieser Ereignisse und der mit ihnen verbundenen bis heute fortbestehenden Ungerechtigkeiten und Konflikte gelten als politisch heikel, sind jedoch als Teil der (noch fragilen) Demokratisierung Indonesiens dringend geboten. Die Arbeit von Herrn Lukas trägt dazu bei.

Es ist nicht zuletzt der großen Geduld, Beharrlichkeit und Einfühlsamkeit von Martin C. Lukas zu verdanken, der auch Indonesisch spricht, dass es in Workshops teilweise erstmals zu Gesprächen zwischen einzelnen, in Konflikt miteinander stehenden Beteiligten kam. Die Veröffentlichung der Forschungsergebnisse in Open Access-Quellen und teilweise auch in indonesischer Sprache trägt dazu bei, dass sich die Menschen, zivilgesellschaftliche Organisationen und politische Akteure über die gesamte Bandbreite der Ursachenfaktoren informieren können. Zudem hofft Herr Lukas, dass seine Offenlegung der Konflikte und ihrer Verbindung mit Umweltdegradierung politischen Druck ausübt, der zur Konfliktlösung beitragen kann. Die Wirkungen der Forschungsarbeit gehen deshalb weit über das zugrundliegende ökologische Problem hinaus.